Wir hatten bereits von dem Urteil des LG München berichtet. Das LG München hat als erstes Gericht in Deutschland einen Händler zur Rückabwicklung des KFZ Kaufgeschäfts im Zuge des VW Abgasskandals verpflichtet.
Wir halten dieses Urteil für richtig, weil es die obergerichtliche Rechtsprechung berücksichtigt. Das Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig.
Das Urteil des LG München I, – Az.: 23 O 23033/15 zum VW-Abgasslandal im Volltext:
1. Das Versäumnisurteil des Landgerichts München I vom 19.01.2016, Az. 23 O 23033/15, wird aufrechterhalten.
2. Die Beklagte hat auch die weiteren Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zuvollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 17.930,54 € festgesetzt.
Die Parteien streite über die Rückabwicklung eines Pkw-Kaufs im Zusammenhang mit dem sog. Abgasskandal.
Die Beklagte ist ein Vertragshändler für Fahrzeuge der Marke S. . Sie ist jedenfalls über Beteiligungen mit der V. AG verbunden.
Mit Kaufvertrag vom 20.05.2014 kaufte der Kläger bei der Beklagten einen S. 1.6 TDI 66 kw. In dem Fahrzeug ist ein von der V. AG hergestellter Dieselmotor vom Typ EA 189 verbaut. Dem Kläger kam es dabei darauf an, dass der Schadstoffausstoß niedrig sei, der CO2-Ausstoß den Angaben entspreche, der Verbrauch des Fahrzeuges niedrig und die Leistung (PS) hoch war. Daraufhin war dem Kläger von einem Verkaufsmitarbeiter der Beklagten der in dem streitgegenständlichen Fahrzeug verbaute Motor besonders empfohlen worden, da dieser seit Jahren von V. erprobt sei. Das Fahrzeug sei besonders sparsam im Verbrauch bei niedrigem Schadstoffausstoß. Das Fahrzeug wurde auch in Prospekten entsprechend beworben. Das Fahrzeug bzw. der darin verbaute Motor vom Typ EA 189 ist von dem sog. Abgasskandal betroffen. Dabei werden die Stickoxidwerte (NOx) durch eine Software im Vergleich zwischen Prüfstandlauf und realem Fahrbetrieb verschlechtert (Herstellerschreiben vom 15.02.2016, Anlage K 6 zum Klägerschriftsatz vom 18.03.2016). Die konkreten Auswirkungen auf das streitgegenständliche Fahrzeug sind streitig. Das Fahrzeug ist technisch sicher und fahrbereit, eine Mangelbeseitigung ist nicht erfolgt.
Mit Rechtsanwaltsschreiben vom 29.10.2015 (Anlage K 3) ließ der Kläger die Beklagte unter Fristsetzung bis zum 13.11.2015 zur Mangelbeseitigung auffordern. Andernfalls trete er von dem Kaufvertrag zurück. Mit Schreiben vom 02.11.2015 (Anlage K 4) teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass an der Lösung des Problems gearbeitet werde. Fahrzeuge mit Dieselmotoren des Typs EA 189 sollten ein technisches Update erhalten. Die V. AG habe dem Kraftfahrt Bundesamt am 07.10.2015 einen Maßnahmenplan vorgelegt.
Mit Schriftsatz vom 02.03.2016 (dort Bl. 31 d. A.) hat der Kläger die Anfechtung des Kaufvertrages wegen arglistiger Täuschung erklärt.
Der Kläger ist der Meinung, die Beklagte müsse sich im Rahmen der Anfechtung die Kenntnis der V. AG zurechnen lassen, weil sie eine 100%-ige Konzerntochter sei.
Der Kläger ist der Auffassung, dass jedenfalls ein Sachmangel vorliege, weil der Schadstoffausstoß höher sei als von Verkäufer und Hersteller bezeichnet. Zudem sei davon auszugehen, dass die Schadstoffklasse Euro 5 nicht eingehalten werde. Jedenfalls sei die Abweichung des Schadstoffausstoßes erheblich. Eine Beseitigung sei nicht möglich, jedenfalls nicht ohne eine Erhöhung von Verbrauch und Schadstoffausstoß. Bei ebenfalls von dem sog. Abgasskandal betroffenen Fahrzeugen vom Typ V. sei zwar zwischenzeitlich eine Mangelbeseitigung erfolgt, T ests hätten jedoch einen Verbrauchsanstieg um 0,5 Liter je 100 km und mehr ergeben.
Weiter ist der Kläger der Auffassung, die Beklagte habe ihm neben dem Kaufpreis abzüglich Gebrauchsvorteil die Kosten für die Anbringung einer Anhängerkupplung, Zulassungskosten, Kraftfahrzeugsteuer, Haftpflichtversicherungsbeiträge und die Kosten einer Garantieverlängerung zu ersetzen. Wegen der Einzelheiten zur Anspruchshöhe wird auf den Vortrag in der Klageschrift (dort Bl. 3/4 d. A.) Bezug genommen.
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Der Kläger beantragt nunmehr:
Das Versäumnisurteil des Landgerichts München I vom 19.01.2016, Az. 23 O 23033/15, zugestellt am 25.01.2016, wird aufrechterhalten.
Die Beklagte beantragt:
Das Versäumnisurteil des Landgerichts München I im Rechtsstreit 23 O 23033/15 vom 19.01.2016 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Beklagte trägt vor, dass die anpreisenden Angaben zum Verbrauch, dem geringen Schadstoffausstoß etc. seinerseit nach bestem Wissen und Gewissen gemacht worden seien. Sie habe keine Erkenntnisse über die Verwendung einer speziellen Software im Testzyklus gehabt. Das Verhalten der V. AG sei ihr auch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zuzurechnen, zumal sie nicht direkt in die V. AG eingegliedert sei. Gesellschafterin der Beklagten sei die M. GmbH & Co. OHG. An dieser sei wiederum die M. GmbH beteiligt, deren Gesellschafterin die V. GmbH sei, an der die V. AG direkte Anteile halte.
Zudem liege auch kein Mangel vor. Das Fahrzeug sei fahrbereit und verkehrssicher. Eine tatsächliche Einschränkung habe der Kläger nicht schlüssig dargelegt. Das Fahrzeug sei auch nicht von der CO2-Thematik betroffen. Jedenfalls sei der Mangel unerheblich und berechtige daher nicht zum Rücktritt. Schließlich sei sie weiterhin zur Nachbesserung berechtigt.
Weiter ist die Beklagte der Auffassung, unter Berücksichtigung der Umstände, insbesondere ihre Abhängigkeit bei der Mangelbeseitigung von der V. AG und der Vielzahl an betroffenen Fahrzeugen, sei die Frist hierfür besonders lang zu bemessen. Nach derzeitigem Stand sei vorgesehen, dass die technische Maßnahme für den hier streitgegenständlichen Motor in der Kalenderwoche 39 starte. Vorgesehen sei das Aufspielen eines Updates, die Einsetzung eines Strömungsgitters. Die Kosten dafür würden voraussichtlich deutlich weniger als 100,00 € betragen. Die V. AG verfolge dabei das Ziel, durch die Umsetzung der geplanten Maßnahmen die Motorleistung, den Kraftstoffverbrauch und die CO2-Emissionen nicht zu verändern.
Nach Versäumnisurteil im schriftlichen Verfahren vom 19.01.2016, der Beklagten zugestellt am 25.01.2016, hat diese mit Schriftsatz vom 02.02.2016 (Bl. 15/19 d. A.) Einspruch eingelegt. Das Gericht hat am 14.04.2016 über den Einspruch mündlich verhandelt.
Ergänzend wird auf den Akteninhalt Bezug genommen, insbesondere die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen, das Versäumnisurteil vom 19.01.2016 (Bl. 9/11 d. A.) sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 14.04.2016 (Bl. 48/52 d. A.).
Das Versäumnisurteil vom 19.01.2016 war aufrechtzuerhalten. Die Beklagte hat zwar form- und fristgerecht mit Schriftsatz vom 02.02.2016 Einspruch eingelegt. Die Klage ist indes zulässig und begründet, weil dem Kläger ein Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages nach Anfechtung wegen arglistiger Täuschung zusteht, §§ 812 Abs. 1, 123 Abs. 1, 142 Abs. 1 BGB, nebst Anspruch auf Ersatz der weiteren Schäden nach §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1, 282 BGB. Darauf, dass der Kläger auch einen nachrangigen Anspruch wegen wirksamen Rücktritts vom Kaufvertrag hat, kommt es daher bereits nicht mehr an.
Die Beklagte hat selbst eingeräumt, dass ihre Angaben zum Schadstoffausstoß objektiv unrichtig waren. Jedenfalls für die Stickoxidwerte (NOx) steht aufgrund des Herstellerschreibens vom 15.02.2016 (Anlage K 6) fest, dass sie durch eine Software im Vergleich zwischen Prüfstandlauf und realem Fahrbetrieb verschlechtert werden. Auch die Beklagte hat lediglich in Abrede gestellt, dass Abweichungen bei den CO2- Werten bestehen würden. Ob die Angaben hierzu ebenso unrichtig waren, kann insofern dahingestellt bleiben, weil jedenfalls der Ausstoß von Stickoxidwerten unrichtig angegeben wurde.
Arglist erfordert dabei wenigstens bedingten Vorsatz, jedoch keine Absicht oder Schädigungsvorsatz. Der Beklagten ist dabei nach der freien Überzeugung des Gerichts das Wissen der V. AG zuzurechnen. Soweit die Beklagte vorträgt, die V. AG sei nur indirekt an ihr über mehrere zwischengeschaltete Gesellschaften beteiligt, steht dies im Widerspruch zu ihrer Unternehmensbeschreibung im Internet, von der Klagepartei vorgelegt als Anlage K 6 (2) zum Schriftsatz vom 15.04.2016. Danach gehört die Beklagte zur österreichischen P. als Mitglied des V. konzern. Letztlich kann dies aber dahinstehen, weil die Beklagte jedenfalls über eine durchgehende Beteiligungskette zum V. konzern gehört, über die das Wissen zuzurechnen ist.
Jedenfalls muss sich die Beklagte aber aus Gründen des Rechtsscheins als 100%-ige Konzerntochter behandeln und das Wissen der V. AG zurechnen lasse. Die Beklagte hat durch ihr Auftreten besonderes Vertrauen als Konzerntochter in Anspruch genommen. Dabei kann dahinstehen, ob hierfür der Auftritt als S. Vertragshändler mit prominenter Verwendung des V. Logos im Auftritt ihrer Geschäftsräume ausreicht (vgl. Foto Anlage K 6 (2). Jedenfalls aber wirbt die Beklagte in ihrem Internetauftritt unter der Überschrift „Gemeinsame Wurzeln“ wie folgt: „Seit 1. März 2011 ist die P. eine 100%-Tochter der V. AG und somit Teil des erfolgreichsten europäischen Automobilherstellers.“
Damit hat die Beklagte bewusst nach außen werbend besonderes Vertrauen als 100%-igeV. tochter in Anspruch genommen. Daran muss sie sich nun auch festhalten, soweit die V. AG bewusst unrichtige Angaben zu Schadstoffemissionen des streitgegenständlichen Motors gemacht hat, die unstreitig Gegenstand der Anpreisungen des Verkaufsmitarbeiters der Beklagten waren. Diese waren auch unstreitig mitursächlich für die Kaufentscheidendung des Klägers. Dies gilt umso mehr, als der Verkäufer der Beklagten unbestritten als seit Jahren von V. erprobt beworben hat. Nach dem objektiven Empfängerhorizont lag damit keine bloße Bezugnahme auf Herstellerangaben vor, deren Richtigkeit sich der Kenntnis der Beklagten entzog, sondern die Beklagte machte die Herstellerangaben als 100%-ige V. Tochter und damit Mitglied des „Unternehmens V. “ bzw. des „V. Konzerns“.
Der Anfechtung steht auch nicht das Ausmaß des Mangels entgegen. Unabhängig davon, dass der Mangel nicht unerheblich ist, kommt es für die Anfechtung nur auf die Täuschung und deren Ursächlichkeit bei der Willensbildung an. Im Übrigen wäre es treuwidrig von der Beklagten, zunächst die Schadstoffemissionen des Fahrzeuges als besonderes Verkaufsargument heranzuziehen, und dann der Anfechtung entgegenzuhalten, dass die ihr zurechenbare gezielte Manipulation der gemessenen Schadstoffwerte unerheblich wäre.
Als Folge der Anfechtung hat der Kläger zunächst Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug-um-Zug gegen Rückgabe des streitgegenständlicehn Fahrzeugs unter Abzug des von ihm gezogenen Gebrauchsvorteil. Letzteren schätzt das Gericht angesichts der erfolgten Laufleistung von 27.359 km bei einer nach Schätzung des Gerichts aufgrund der allgemein bekannten grundsätzlichen Langlebigkeit von Dieselmotoren zu erwartenden Laufleistung von 300.000 km auf 1.594,89 €.
Der Kläger hat auch Anspruch auf Ersatz der weitergehenden Schäden einschließlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten aus § 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1, 282 BGB aufgrund der arglistigen Täuschung der Beklagten. Insofern ist zu berücksichtigen, dass die von dem Kläger geltend gemachten weiteren Schadenspositionen ihm nicht entstanden wären, wenn er den Vertrag in Kenntnis der wahren Umstände nicht abgeschlossen hätte. Soweit der Kläger Kraftfahrzeugsteuer und Haftpflichtversicherungsbeiträge geltend macht, sind auch diese zu ersetzen, nachdem der Gebrauchsvorteil bereits im Rahmen der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung berücksichtigt wurde.
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